Filmwerkstatt im Projekthaus Potsdam

Menschen aus vielen europäischen Ländern werden im Potsdamer Projekthaus über Ostern 2022 zusammenkommen. Es sind Menschen, die in den einzelnen Ländern für unser Projekt „Finding Europe“ Interviewpartner:innen aussuchten, die Locations festlegten und die Interviews zur wünschenswerten Zukunft der EU führten, die wir mit unseren Kameras aus der Beobachterposition festhielten. Nun werden unsere Protagonist:innen sich zum ersten Mal auch untereinander treffen.

Putins furchtbarer Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die politische Landkarte Europas verändert. Zwischen den Interviews, die unsere Protagonist:innen zwischen dem Juli 2020 und dem Dezember 2021 führten, und der heutigen Zeit scheinen Jahrzehnte zu liegen. Europa scheint geeint wie nie. Die meisten Sanktionen gegen Russland wurden unbürokratisch und blitzschnell entschieden. Länder wie Polen und Ungarn nehmen mit einem Mal in großer Zahl Geflüchtete auf. Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine rückt in greifbare Nähe.

Und doch spricht sehr Vieles dafür, dass die neue Einigkeit und das neue Umdenken die tieferen Risse und Probleme der EU auch überdecken. Nach wie vor sind die sozialen und ökonomischen Unterschiede in der Union enorm. Nach wie vor sorgen sich Menschen um bezahlbaren Wohnraum. Nach wie vor gibt es Armut in der EU. Nach wie vor streben nationale Gruppierungen nach einem Austritt von Mitgliedsstaaten.

In Potsdam wollen wir herausfinden, was unsere Protagonisten heute anders sagen würden und was sie unverändert für richtig halten. In Potsdam werden wir auch neue Menschen in dieses Projekt bringen: Zum einen Jugendliche aus der Stadt, die durch die Arbeit mit uns das Filmhandwerk erlernen werden, zum anderen Geflüchtete aus der Ukraine, die wir hinter und vor der Kamera am Projekt beteiligen wollen.

Du bist zwischen 16 und 27 Jahren oder stammst aus der Ukraine? Dann kannst du dich zur Filmwerkstatt einfach per E-Mail anmelden: mail[at]kameradisten.info. Mehr Informationen findest du hier: Link zum Veranstalter und Partner.

Dreharbeiten abgeschlossen

15. Oktober 2021: Wir haben die Dreharbeiten für FINDING EUROPE im Baskenland abgeschlossen und drehen morgen und übermorgen in Madrid ab. Es war ein langer Weg. 16 Länder der EU. 86 Menschen. So viele Orte. So viele Meinungen, und doch waren sie weitgehend übereinstimmend in den Wünschen nach Frieden, ein wenig Wohlstand und einem intakten Planeten.

Wir redeten mit Geflüchteten, Arbeiter:innen, Akademiker:innen, Reichen, Armen, Aufgestiegenen, Abgehangenen, Hoffenden, Träumenden, Wütenden und Verzweifelten. Und wir filmen ausgiebig Europas vielfältige Lebenswelten und Landschaften, Einöden und quirlige Städte, dichten Wald, verklüftete Berge, Häuserburgen und trockene Grasländer, Ströme aus Licht und die fast völlige Finsternis. Noch nie haben wir aus einem Filmprojekt soviel Footage in den Schneideraum mitgenommen.

Es wird ein kuscheliger Winter vor den Bildschirmen werden, in dem wir das alles sortieren und verstehen müssen. Drückt uns mal die Daumen, dass wir das alles kapieren. Das wird krass.

Europas Elefant

In der Zwischenzeit haben wir unserer Filmprojekt „Finding Europe“ nach Griechenland, Österreich, Litauen und Polen gebracht, drehen demnächst in Leipzig und Berlin (Deutschland) und bereiten intensiv die Dreharbeiten für Tschechien, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien (Siebenbürgen), Italien, Frankreich, Spanien, Dänemark und Irland, Nordirland und Schottland vor.

Weil wir lieber drehen gehen als über das Drehen zu schreiben, haben wir diesen kleinen Blog sehr vernachlässigt. In loser Reihenfolge findet ihr hier ein paar Stills aus den Dreharbeiten in Österreich, Polen und Litauen. Es waren bewegende Wochen, in denen wir sehr besondere Menschen trafen, die uns tiefe Einblicke in ihr Leben gaben. Natürlich geben euch davon die Fotos nur eine Ahnung, aber dafür wird es ja bald einen Film geben, der das sehr viel präziser erzählen wird.

Unter den Bedingungen der weltweiten Pandemie verlief und verläuft „Finding Europe“ natürlich etwas anders als geplant. Es gibt Quarantänezeiten in den jeweiligen Ländern, zu denen wir abwarten müssen und nicht drehen können. Wir wissen schon nicht mehr, wie viele Tests (alle negativ) wir im Team schon hatten. Ein Gutteil der Logistik und Planung müssen wir auf die Beachtung der jeweiligen Landesvorschriften und ihrer Hygienekonzepte verwenden. Aber Corona (so ist unser Eindruck von unserem bereits gedrehten Material) macht die filmische Suche nach Europa auch sehr viel spannender. Fast alle Interviewten kommen auf die Pandemie zu sprechen, wenn sie über Europas (fehlenden) Zusammenhalt, seine Entscheidungsfähigkeit und seine bürokratischen Hürden sprechen. Das Projekt „Finding Europe“ ist wegen der Pandemie sozusagen konkreter geworden, weil ein ganz naheliegender Prüfstein der europäischen Identität auch in der (Nicht-)Bewältigung der Herausforderungen der Pandemie liegt: Corona ist Europas Elefant, der im Wohnzimmer steht.

Hanioti

Im Juli 2020 haben wir mit den Dreharbeiten für „Finding Europe“ begonnen. Bille und Georgios (ein deutsch-griechisches Paar) brachten uns dazu nach Hanioti, eine doppelgesichtiges Urlaubsdorf im Süden von Thessaloniki. Hanioti hat zwei Gesichter, weil es zwei europäische Wirklichkeiten enthält. Entlang der Küstenlinie des Ortes tummeln sich die wohlhabenden Urlauber. In den kleinen Häusern in den Bergen über dem Ort lebt das Personal des Urlaubstraumes oft in Armut. Wer „Glück“ hat, arbeitet während der Sommermonate hart genug für einen spärlichen Lohn, so dass es immerhin für den nasskalten Winter reicht für Lebensmittel, Holz und ein ein paar kleine Träume. Wer Pech hat, bleibt auf der Strecke.

Georgios und Bille waren unsere Guides und Übersetzer. Drei von fünf langen Interviews mit Menschen der Region führte Georgios selbst. Bille wurde auch zur Set-Fotografin. Die meisten der Bilder in der Galerie unten stammen von ihr.

Corona hat Hanioti hart getroffen. Die Besuchszahlen brachen ein. Viele „Dörfler*innen“ fanden keine Arbeit mehr in den Hotels am schönen blauen Meer. Der griechische Staat vermag kaum zu helfen. Die Austeritätspolitik der Union lähmt das Land und hat die Griech*innen wütend gemacht. „Wo ist denn Europa, wenn es gebraucht wird?“, haben unsere Interviewpartner*innen gefragt.

Und doch gab es auch zaghafte Träume von einem anderen, solidarischen Europa, das sich aufmacht die sozialen Ungleichheiten innerhalb der Länder und zwischen ihnen entschlossener zu beseitigen. Diese Teile der Interviews sind vielleicht am berührendsten.

Wir werden in den nächsten Wochen noch ein zweites Mal nach Süden gehen. Diesmal nach Athen, wo wir die urbane Seite des Landes erkunden wollen. Danach werden wir uns dem nächsten Land der EU zuwenden, Litauen.

Neues Filmprojekt: Finding Europe

Das europäische Haus wurde einst von Staats- und Regierungschefs erbaut und war am Anfang in erster Linie ein Wirtschaftsprojekt im Interesse einer Friedensordnung. Nicht die europäischen Menschen verlangten und erkämpften Europa, sondern sie zogen ein wie Mieter in ein Haus, das andere ihnen bauten. Heute ist das europäische Haus sanierungsbedürftig. Nationalisten und Separatisten bedrohen es. Großbritannien wird die EU verlassen. Auch in anderen Ländern und Regionen werben Menschen für den Austritt.

mehr